Wenige Wochen nach seinem 80. Geburtstag ist Ralf Dahrendorf am 17. Juni 2009 gestorben.
Mit Dahrendorf verbindet mich seit Schulzeiten unverbrüchlich sein Buch „Homo sociologicus“ aus dem Jahre 1965. Mir hat der Versuch, menschliche Verhaltensweisen auf Grund von sozialen Rollen zu erklären, die von Normen, Erwartungen und Sanktionen geleitetet sind, damals eingeleuchtet.
Würde ich das Buch heute erneut lesen, hätte ich (wie so oft) vermutlich große Bedenken und Einwände gegen Dahrendorfs Theorien. Denn immerhin wird mit ihnen das große Thema des in seinen Entscheidungen freien Menschen (Stichwort „abstrakt freier Wille“) abgehandelt.
Dahrendorf steht mit seinem Rollenverständnis in Gegensatz zum Marxschen Begriff der Charaktermaske – als Bezeichnung für den entfremdeten Menschen im Kapitalismus (an dem der liberale Dahrendorf in seinem ganzen Leben nie gezweifelt hat), der seine Charaktereigenschaften nur noch wie eine abwerfbare Maske trägt bzw. tragen muss.
Dahrendorf hat über Marx promoviert. Titel seiner Dissertation „Der Begriff des Gerechten im Denken von Karl Marx“. Doch wo Marx / Engels die Ursachen menschlicher Verhaltensweisen in den je ökonomischen Verhältnissen sehen (und damit als grundsätzlich veränderbar erachten), behandelt Dahrendorf diese „positivistisch“ auf der Phänomenebene.
Ohne Zweifel hat dieser Mann im Laufe seines Lebens viele Meriten erworben. In dem von ihm als Lebensmittelpunkt gewählten England, das er besonders wegen seines „common sense“ und seiner „liberalen Gesellschaft“ so schätzte, erfuhr er immerhin nach seiner Annahme der britischen Staatsbürgerschaft im Jahre 1988 die Erhebnung zum Lord (fortan Sir Dahrendorf) und 1993 als Life Peer zum „Baron“ den Eingang ins Oberhaus.
Dass Dahrendorf Botschafter der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (siehe Blogbeitrag vom 10. Juni) war, passt zu seinen liberalen Überzeugungen.
Möge Ralf Dahrendorf in Frieden von dieser Welt geschieden sein, auf der er so vieles erreicht hat.