Pogromstimmung

Nun hat auch Ministerpräsident Wulff sein Waterloo (halt, darf man das eigentlich schreiben?) erlebt. Mit der Verwendung des Wortes „Progromstimmung“ im Zusammenhang mit der aktuellen Finanzkrise hat er sich die Verärgerung des Zentralrates der Juden zugezogen.

Dieser wacht besonders genau über ein sprachlich sauberes Verhalten der Politikerkaste (halt, darf man „Kaste“ eigentlich noch so verwenden?).

Gestern hat sich Wulff nicht nur entschuldigt, sondern vor laufenden Kameras gesagt, dass er sich dafür „schäme“! Sein Gesicht entsprach der RAL-Farbe (halt, das heißt doch eigentlich Reichs-Ausschuß für Lieferbedingungen und wurde 1937 von den Nazis erfunden!) 9003. Das ist jetzt nicht getürkt (halt, das ist doch auch gar nicht nett!), sondern war wirklich so.

Schauen wir uns das einmal etwas genauer an. Gewiss, Bombenstimmung (halt, dieses Wort darf man doch auch nicht guten Gewissens verwenden!) gibt es zur Zeit in der CDU nicht.

Und daran ist nicht nur die Schwarzarbeit (halt, ist das nicht rassistisch?) schuld oder das schwarzsehen oder schwarzfahren. Auch nicht die Russenmafia (halt, darf man das in Zeiten der deutsch-russischen Freundschaft noch schreiben?).

Vielleicht würde sich die Stimmung durch ein paar Mohren- oder Negerköpfe (halt, das heißt doch jetzt Schaumgebäck mit Schokoladenüberzug!) verbessern?

Manche Menschen (halt, schließt das nicht Menschinnen aus?) sind der Meinung, dass es weniger darauf ankommt, wie man denn nun formuliert, sondern vielmehr, wie man mit Menschen faktisch umgeht.

Was nützt also der Ausdruck “Farbiger“, wenn man diesen immer noch wie einen „Nigger“ (Entschuldigung, das war jetzt wirklich nur exempli gratia) behandelt? Was hilft die Bezeichnung „ausländischer Mitbürger mit Migrationshintergrund“, wenn ich diesen faktisch als „Kanaken“ (wiederum nur exempli gratia) verachte?

Gewiss, „Sprache ist Gesinnung“ (Tucholsky), aber nicht jeder will damit gleich andere diskreditieren.

Und – sit venia verbo – was der Staat Israel mit den Palästinensern ganz praktisch seit Jahren antut, ist normativ deutlich faktischer als nur die Verwendung des Wortes „Pogrom“.

Ja, wir Deutschen müssen ganz besonders vorsichtig sein mit jeglicher Doppeldeutigkeit von Ausdrücken oder Gedanken, die uns erneut in den Verdacht des Anti-Semitismus geraten lassen könnten. Aber im Fall Wulff verstehe ich die Aufregung nicht.

Wie heißt es so schön in der Bibel: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen!“ Und da ist auch ein Wulff völlig frei von jedem Verdacht. Nicht dass ich religiös wäre, Gotte bewahre (halt, darf ich das sagen?), aber das erinnert mich doch alles ein wenig an eine weitere Bibelstelle, wo vom dem Splitter im Auge des Anderen die Rede ist.

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