Helden der Kindheit

Weil mein junger Freund und Partner cdv sich unerwarteter Heimat- und Kindheitserinnerungen in seinem Blog angenommen hat, ermutigt mich dies, meine kleine Reihe „Helden der Kindheit“ nach „Tante Erna“ und „Onkel Max“ mit einer weiteren fortzusetzen.

Onkel (so pflegte man früher alle Respektpersonen anzureden, auch wenn man nicht verwandt war) Hinni war einer der sieben großen Bauern in unserem Dorf. Noch in den 60er Jahren setzte er auf die Kraft seiner zwei Pferde, während die anderen Bauern sich längst für Fendt oder Deutz entschieden hatten (das wiederum war so etwas wie eine Glaubenssache), nur einer ging fremd mit McCormick.

Onkel Hinni war aber der Erste im Dorf, der das Heu mit einem elektrischen Gebläse auf den Boden beförderte. Da brauchte das Heu nicht mehr mühevoll mit der Forke nach oben gestakt zu werden.

Onkel Hinnis drei Leiterwagen waren immer prima in Schuss. Ich könnte sie heute noch unterscheiden. Einer hatte extra breite Räder für die nasse Wümme-Niederung, einer hatte blaue Speichen. Wo die wohl geblieben sind? Beim Heueinfahren durfte ich immer ganz oben auf dem Bindebaum sitzen.

Onkel Hinni besaß vier große Wiesen, die größte hatte sieben Morgen. Der ganze Hof hatte knapp 100 Morgen (= 25 ha), was heute als Basis für einen „Vollerwerbsbetrieb“ lächerlich klein ist. Bis in die 50er Jahre hatte es auch noch ein richtiges Backhaus im Betrieb.

Auf seinem Acker hatte er einmal ein paar Münzen aus der napoleonischen Besatzungszeit aufgepflügt und mir gezeigt. Ich war sehr beeindruckt.

Außerdem hatte er den besten Brunnen im Dorfe mit wunderbar frischem Wasser, und mehrere Birnenbäume rund ums Haus. Einer war so unglaublich hoch, dass die Birnen allesamt nur zermatscht unten auftrafen.

Eines Tages, als ich mit der ganzen Familie den ganzen Tag lang die Pferde beim Heueinfahren geführt hatte, rief Onkel Hinni mich zu sich. Er sagte, ich solle mich nicht erschrecken, wenn er mir jetzt etwas zeige. Mit meinen circa zwölf Jahren vermutete ich jetzt eine Kriegsverletzung (heute wäre man da kritischer), doch stattdessen zog er einen 10-DM Schein aus der Tasche und gab ihn mir. Leider musste ich den auf Drängen meiner Eltern zurückgeben. Denn in die geleistete Arbeit waren sog. „Hand- und Spanndienste“ für den Großbauern. Im Gegenzuge durfte man dann für den eigenen kleinen Nebenerwerbsbetrieb meines Großvaters die Pferde und Gerätschaft leihen.

Leider ist Onkel Hinni eines Nachts viel zu jung an einem Herzinfarkt gestorben. Weil er keine Kinder hatte, ging der Hof später an entfernt Verwandte seiner Frau, die er erst spät geheiratet hatte. Vom Hof ist nichts übrig geblieben. Unverhoffter Geldsegen für ihm unbekannte Menschen. Wenn Onkel Hinni das gewusst hätte! Sic transit …

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